So vertraut und doch schon so fremd
[Banater Post, Nr. 35, Sep 20, 2008]
Tief in
der Erinnerung lebt ein friedliches Dorf auf der
Banater Heide weiter. Dort konnte man sich als Kind
geborgen fühlen, inmitten der Eltern, Großeltern,
Verwandten und Nachbarn. Die Sommer waren unendlich
lang und die Winter hatten ihre schönen Tage.
Irgendwann erfuhr man, dass es irgendwo in der Welt
einen Krieg gab. Und dann überstürzten sich die
Ereignisse: Der Vater zog in den Krieg; die Rote
Armee überrannte das Dorf; die Mutter wurde auf
unbegreifliche Weise nach Russland verschleppt.
Plötzlich waren die rumänischen Kolonisten da und
der Unterricht begann auch wieder, aber in einer
anderen Sprache.
Nun ist
es Frühling 2008, wir sind (nach 50 Jahren) wieder
in Temeswar, und der Kollege lädt uns zu einer Reise
nach Şandra/Alexanderhausen ein. Um neun Uhr ist
sein Peugeot aufgetankt, unsere beiden Frauen sind
bereit und wir fahren los. Ich erkenne den Platz, wo
die Arader Straße und die Torontaler Straße
zusammentreffen. In der ersten Hälfte der 1950er
Jahren war hier das große Depot der Sowjetpanzer. Im
Oktober 1956 brachen die Tanks von hier nach
Budapest auf, entlang derselben Szegediner
Landstraße, auf welcher wir nun mit fast 100
Stundenkilometern dahinbrausen.
Nachdem
wir einige Privatbetriebe passiert haben, liegt die
Landstraße vor uns, eingerahmt von Bäumen, wie in
der Erinnerung, nur dass die Straße heute
asphaltiert ist. Wir lassen das einstige
Neubeschenowa rechts liegen und fahren durch
Kleinbetschkerek. Rechts auf den Feldern eine
Überraschung: eine große Schafherde mit einem
rumänischen Hirten. Sie kommen aus den Bergen in die
Ebene, so wie sie es vor sechzig Jahren taten. Der
Kollege bemerkt dazu, dass die EU dagegen ist, aber
uralte Verhaltensweisen lassen sich nur schwer
verändern.
Es
scheint nur Minuten zu dauern und schon sind wir in
Billed. Ich versuche meine Erregung zu unterdrücken,
denn das nächste Dorf ist Alexanderhausen. Die zwei
Kirchtürme erwachsen aus dem Grün der Heide. Aus der
Ferne wirken sie so freundlich wie immer, als ob
sich hier nichts geändert hätte. Aber alles ist hier
grün, die Bäume, die Sträucher, das Gras, welches
jedes ungepflasterte Stückchen Erde bedeckt. Die
einstigen Gräben sind eingeebnet und das Gras wächst
darüber hinweg. Die Kaulen sind meist verflacht oder
verschwunden; eine Hochwasser-Gefaht scheint es
nicht mehr zu geben. Von den zwei Reihen
Maulbeerbäumen auf jeder Seite der Gassen sieht man
nur selten einige Reste. Die Bäume wurden spätestens
dann beseitigt, als der Befehl von oben kam,
Gemüsegärten vor den Häusern anzulegen. Schließlich
sollten die 20 Klafter (etwa 38 m) breiten Gassen
doch zur sozialistischen Ernährung beitragen!
Der
erste Weg führt zum Friedhof gegen Neusiedel/Uihei,
wo sich unser Grab befindet, das Grab, welches ich
oft mit meiner Großmutter besuchte und wo auch sie
endlich ihre ewige Ruhe gefunden hat. Wie so viele
Gräber ist es teilweise von einer Zementplatte
bedeckt, denn wer sollte schon Blumen darauf
pflanzen! Es gibt neue Gräber mit rumänischen Namen,
der Friedhof wird also langsam übernommen, nach
welchen Regeln, weiß man nicht. Die Kapelle liegt im
Schatten; sie wird wohl noch eine Weile als Ruine
fortbestehen.
Auf der
Hutweide genannten Wiese an der südlichen
Ecke des Dorfes gibt es Hühner und Krähen, wie Anno
dazumal, als sie noch unser bevorzugter
Sommerspielplatz war. Aber die Überfuhr über die
Bahnstrecke ist verschwunden, zusammen mit der
Bahnbrücke, welche im Grabensystem einst eine
wichtige Rolle spielte. Vom Gras verdeckte
Verflachung herrscht auch hier und man kann nur
hoffen, dass das Hochwasser endgültig der
Vergangenheit angehört.
Wir
biegen auf “unsere Gasse“ ein und stellen das Auto
auf der gegenüber liegenden Straßenseite ab. Wo
unser Haus einst stand, steht ein halfertiges
Gebäude, aus einer Art Ziegelsteinen errichtet. Die
rumänische Nachbarin weiß nur, das es einem Rumänen
aus Amerika gehören soll. Der Garten ist - soweit
man sehen kann - mit Mais bebaut. Manche
Schwabenhäuser bestehen weiter, sind bewohnt und
werden im Stand gehalten; andere scheinen unbewohnt
und vernachlässigt zu sein. Und so manche sind vom
Erdboden verschwunden.
Wir
fahren bis zur Kirche und stellen den Wagen ab. Die
Kirchentür ist verschlossen und außerdem höchst
reparaturbedürftig. Die Schule wurde vergrößert und
sieht gut aus. Das einstige Große Wirtshaus
erscheint in einem schlechten Zustand. Wir gehen zur
“Pension Schwabenhaus“ welche im einstigen
Albert-Haus entstanden ist. Hier könnte man glauben,
plötzlich irgendwo im Westen zu sein. Die
Gästezimmer sind tadellos eingerichtet; das
Restaurant sieht freundlich aus, es gibt einen
“multifunktionellen“ Saal für 150 Personen.
Museumsgegenstände wie schwäbische Uhren, Mörser und
landwirtschafliche Geräte sind überall ausgestellt.
Biere und Weine aus dem In- und Ausland werden
serviert; die Preise (in Euro) sind eher mit denen
im Westen vergleichbar.
Leider
können wir nicht zum Mittagessen bleiben, denn wir
wollen noch das Museum in Lenauheim besichtigen.
Man sagt uns, dass der kürzere Weg über Neusiedel
und Bogarosch für Autos kaum befahrbar sei. Wir
fahren also auf der Szegediner Landstraße weiter bis
Lowrin, dann über andere Landstraßen nach Gottlob,
Grabatz und schließlich nach Lenauheim. Vor einem
Dorf taucht eine Kaul auf, mit wenig Wasser und
vielen Gänsen.
Wir
fahren die Hauptgasse von Lenauheim entlang und sind
kaum an der Kirche vorbei, als das Museum auf der
rechten Seite auftaucht. Das Geburtshaus des
Dichters, einst für eine k. und k. Behörde erbaut,
sieht gut aus. Die Leiterin spricht rumänisch und
deutsch; sie kennt den Lebenslauf des Dichters und
auch die Geschichte der Banater Schwaben. Im Saal
der Kirchweihpuppen gibt es Pärchen in der
Kirchweihtracht der bekannten Banater Dörfer. Zu
ihren Erläuterungen hat die Leiterin Banater
Blasmusik eingeschaltet; richtige “Kerweihstimmung“
kommt auf. Die als Küche, Zimmer, Kammer und Speis
eingerichteten Räume enthalten reichlich Möbel,
Teppiche, Decken, Kissen, Wandbehänge, Geschirr,
Bestecke, Bilder, sowie Spinnräder und andere
Gegenstände aus dem Haushalt und der Wirtschaft.
Sogar Kleidungsstücke der älteren Generationen
hängen am "Zapfenbrett". Wir sind alle zufrieden mit
der gewonnenen Übersicht, für einige von uns war es
eine kurze Einführung in die Geschichte der
Donauschwaben, für mich eine wehmütige Erinnerung.
In den
Lenau gewidmeten Räumen sehen wir frühe Ausgaben
seiner Bücher, Übersetzungen seiner Gedichte, Fotos
und Dokumente. An den Wänden hängen Zitaten des
Dichters, zweisprachig (deutsch und rumänisch). Der
anfängliche Enthusiasmus des Dichters für Amerika
und seine spätere Enttäuschung erwecken zwiespaltige
Gefühle in einem Reisenden von drüben: Ein Himmel
auf Erden ist leider nirgends zu finden. Sein Leben
hat Lenau schon früh aus dem Banat geführt, aber so
manche seiner Gedichte spiegeln jene Melancholie
wider, die im Gemüt der Banater Schwaben immer ihren
Widerhall finden wird, solange sie auf dieser Erde
leben.
Wir
verabschieden uns von Lenau und von Lenauheim und
erreichen bei Gertianosch die Landstraße Hatzfed –
Temeswar. Wir erreichen Sackelhausen und wieder
säumen Industriebauten die Landstraße. Es sieht aus,
als ob das Dorf im Begriff wäre, eine Vorstadt
Temeswars zu werden. Noch bevor der Nachmittag zu
Ende geht, sind wir wieder in Temeswar.
Die
Großväter führten ihre Kartoffel noch mit
Pferdewagen auf den Temeswarer Markt und mussten
dabei oft in der Herberge der Tschoka-Pußta
übernachten. Die Väter mussten ihre für den Export
bestimmten Kartoffel nur noch zum Bahnhof
Alexanderhausen bringen. Meine Generation
schließlich waren die Pendler, welche mit dem
Morgenzug in die Stadt fuhren und mit dem Abendzug
in ihr Dorf zurück kehrten. Für uns gab es keinen
Bus, keine Autos, höchstens noch das Fahrrad. Heute
regiert das Auto und es hat das Banat klein gemacht.
Mit ihm kann man in einem Tag durch das ganze
ehemalige, ungeteilte Banat fahren. Der wichtigste
Fortschritt aber besteht darin, dass nach all den
Jahren, die Grenzen endlich wieder offen sind.
Zuhause
angelangt, lassen sich einige Fragen nicht
verdrängen: Ist es vorteilhafter, in der Gegenwart
zu leben und das Banat, so gut es eben geht, zu
vergessen? Oder sollte man, so oft es möglich ist,
eine Reise dorthin unternehmen? Eine definitive
Antwort auf diese Frage habe ich leider noch nicht
gefunden. Eine gewisse Befriedigung bringt der
Gedanke, dass wenigstens unsere Ahnen ein ewiges
Anrecht auf ein Stückchen Heimat haben, nämlich auf
zwei Quadratmeter Erde in unseren einst so schönen
Friedhöfen im Banat. |
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Trip
to Banat, 2008
So familiar, and yet
so different …
[Published in Banater Post, Nr. 35,
Sep 20, 2008]
Translated by Nick Tullius
Deep in my memory, a peaceful village on the Banater
plains lives on. A child could feel safe there, surrounded
by parents, grandparents, relatives and neighbors. The
summers seemed infinitely long there, and the winters had
their beautiful days. At some point in time, I became aware
that there was a war going on somewhere in the world. And
then the events happened at dizzying speed: My father was
conscripted into the war; the Red Army over-run the village;
my mother was deported to the Soviet Union in a cruel and
incomprehensible way. Suddenly there were Romanian colonists
around and the school year started with a new language of
instruction.
Now it is spring 2008 and, after an absence of 50 years,
we are back in Temeswar. A colleague from university has
offered to take us on a journey to my native village of
Alexanderhausen, today’s Sandra. At nine o'clock his Peugeot
is filled up, our wives are ready, and our drive begins. I
recognize the place where the highway to Arad meets the
Torontal highway. In the early 1950ies, a large depot of
Soviet tanks occupied this space. In October 1956 a large
column of tanks set out from here toward Budapest, moving
along the same Szegedin highway, on which our car was now
moving at nearly 100 kilometers per hour.
After passing a number of private companies, the
highway opened up before us, framed by trees, just as I
remember it. There is progress: the road has been asphalted.
We pass the former Neubeschenowa on our right and drive
through Kleinbetschkerek. On the fields to our right, a
surprise: a large herd of sheep with a Romanian herdsman.
They still descend from the mountains into the Banat plains,
just as they did sixty years ago. My colleague remarks that
the European Union is against this migration, but recognizes
that age-old habits are difficult to change.
It seems to take just minutes and we reach the village
Billed. I try to suppress my excitement, because the village
of Alexanderhausen is next. Soon the two church towers
appear above the surrounding greenery. From the distance,
the church towers look as inviting as ever, like nothing has
changed. In the village, everything is green, the trees, the
bushes, the grass which covers every unpaved spot of soil.
The former ditches have flattened and the grass has grown
over them. The ponds have either flattened or disappeared
completely; the danger of flooding does not seem to exist
anymore. Of the two rows of mulberry trees on each side of
each street, only very few remain. Most trees were cut down
when the Communist government ordered that vegetable gardens
be planted in front of the houses. The 125-foot wide streets
had to contribute to socialist nutrition!
First we drive to the cemetery on the Neusiedel/Uihei
side of the village, to visit our graveside. As a child, I
used to go there often with my grandmother, to plant flowers
on the same grave, the one that would become her eternal
place of rest. Like most other graves, it is covered by a
large plate of concrete, because there is nobody left to
remove the weeds and plant the flowers. A few new graves
carry Romanian names, indicating that the cemetery may be
slowly taken over, according to some rules unknown to us.
The cemetery chapel lies in the shade; it will probably
survive for awhile as a ruin.
On the meadow at the southern corner of the village we
observe chickens and crows, just like in the good old times,
when this meadow was our favorite summer playground. But the
overpass across the railroad tracks is no longer there, and
neither is the bridge under the railroad tracks, which once
played an important role in the water management system.
Flattened surfaces covered by grass prevail here, and one
can only hope that the years of flooding are a thing of the
past.
We drive to the street of my childhood and park the car
in front of the place where our house once stood. The house
is gone, and in its place stands a rather large, unfinished
two-storey building, made from some kind of bricks. The
Romanian neighbor tells us that it belongs to a Romanian
from America. As far as one can see, the gardens are planted
with corn. Where have all the fruit trees and the flowers
gone? Some Swabian houses look inhabited and well kept;
others seem to be uninhabited and neglected. And still
others have disappeared completely.
We drive up to the church and park the car. The church
door is locked, but I notice that it is also in need of
repair. The school has been enlarged and looks good. The
former Großes Wirtshaus (large pub) appears to be in a bad
condition. We go to the "Pension Schwabenhaus" which was
created around the former Albert house. Beautiful grounds,
beautiful restoration - you feel like you are in a western
country. The guest rooms are nicely furnished; the
restaurant looks friendly, there is a "multi-functional"
hall for 150 persons. Articles like Swabian clocks, mortars
and agricultural implements are displayed all around us,
just like in a museum. Domestic and foreign beers and wines
are available, at prices (in euros) that are comparable to
those in the west.
Unfortunately we cannot stay for lunch, because we still
want to visit the museum in Lenauheim. We are told that the
shorter roads via Neusiedel and Bogarosch are not passable
for cars. We continue on the Szegedin highway to Lowrin,
then across some country roads to Gottlob, Grabatz and
finally Lenauheim. In one of the villages we see a pond,
with little water and many geese.
We drive along the main street of Lenauheim, passing the
church, when the museum appears on the right side of the
street. It is located in the house in which the poet
Nikolaus Lenau was born, a one-time residence of the
Austro-Hungarian administration. The house is well
maintained and makes a good impression. The museum guide
speaks Romanian and German, and is familiar with the life
and work of the poet, as well as with the history of the
Banat Swabians. A hall is dedicated to the distinctive
costumes (Kirchweihtracht) once worn in many of the
well-known Banat villages, on their festive days. The
miniaturized costumes are displayed by couples of puppets,
each couple representing a village. To accompany her
explanations, our guide switches on the recorded Banat brass
band music, instantly bringing the spirit of "Kerweih" to
life. Other halls are furnished as kitchen, living room,
bedroom and storage room, all containing furniture, carpets,
covers, cushions, wall coverings, tableware, cutlery,
pictures, as well as spinning wheels and other articles used
in the household of the time . Even period articles of
clothing are hanging on the "Zapfenbrett"
("board-with-pegs"). We were all pleased with our guided
tour. For some of us it was a short introduction to the
history of the Danube Swabians, but for me it resurrected
many memories and some deep-seated sadness.
In the rooms dedicated to Lenau we admire early releases
of his books, translations of his poems, photos, and
documents. Displayed on the walls are quotations by the
poet, in two languages (German and Romanian). The initial
enthusiasm of the poet for America and his later
disappointment produce mixed feelings in a traveler from
Canada: Unfortunate as that may be, a heaven on earth cannot
be found anywhere. When he was still very young, his life
took Lenau away from the Banat, but some of his poems are
beautiful expressions of the unique melancholy of that land.
They will continue to resonate with the Banat Swabians,
wherever they live in this world.
We say good-bye to Lenau and to Lenauheim, and reach the
Hatzfed – Temeswar highway in Gertianosch. Near Sackelhausen
many industrial buildings line both sides of the highway. It
actually appears that the village is well on its way to
become a suburb of Temeswar. Well before the end of the
afternoon, we are back in the city of Temeswar.
Our grandfathers had to take their potatoes to the
Temeswar market by horse car, and often had to stay
overnight at the inn named Tschoka Pussta. Our fathers had
to take their potatoes destined for export only as far as
the railway station in Alexanderhausen. My generation
provided the post-war commuters, who took the morning train
into the city, and returned to the village with the evening
train. There were no buses and no cars; at most we had our
bicycles. Today the car has taken over, and it reduced the
Banat to modest proportions. It is possible to drive through
the whole, once undivided Banat in one day. The most
important progress, however, is the fact that after many
years, the borders are finally open again.
Back in Canada again, some questions reappear: Is it
better to live in the present and try to forget the Banat,
or perhaps remember it only the way it was when we lived
there? Or is it better to visit there whenever it is
possible? Unfortunately, I did not yet find a good answer to
these questions. A certain satisfaction appears to arise
from the fact that at least our ancestors have an undeniable
claim to rest for eternity in our once-beautiful cemeteries
in the Banat.
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