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Orzydorf
(heute: Ortisoara; ung.: Orczyfalva)
liegt am östlichen Rande der Banater
Heide, etwa 25 km nördlich von
Temeschburg entfernt. Die Ortschaft wird
von der Landstraße DN 69 Temeschburg -
Arad (zugleich auch Europastraße E-671)
durchquert. Über die Vergangenheit des
Dorfes widersprechen sich die
Buchautoren. Nach Gheorghe Drinovan soll
das Orzydorf erst 1735 dokumentarisch
belegt worden sein, was aber nur
teilweise stimmen kann. Das heutige
Orzydorf ist laut Karl Kraushaar erst
1785 angesiedelt worden, als hier auch
die Pfarrei neugegründet und die
Matrikelbücher eingeführt wurden. Aber
eine Pfarrei mit der Bezeichnung „Kokot"
hat es an dieser Stelle schon 1333
gegeben, wie dies aus den päpstlichen
Zehentregistern zu entnehmen ist. Laut
Grete Eipert soll diese schon 1318 unter
dem Namen „Kakat" in diesen Registern
eingetragen gewesen sein. Nach derselben
Autorin soll auf der Mercy-Karte von
1723-25 an der Stelle, wo sich heute
Orzydorf befindet, das „Praedium Kokot"
mit einem Posthorn verzeichnet gewesen
sein. Auf dieses Prädium bezog sich
wahrscheinlich auch Drinovan bei seiner
Aussage. Im Jahre 1761 gab es auf der
Karte an jener Stelle keine Siedlung.
Über die Ortsgründung Orzydorfs
behauptet Grete Eipert, daß „deutsche
Siedler aus Lothringen, von der Saar,
Pfalz, Württemberg, Bayern, Elsaß und
anderen Gebieten des Reiches" schon 1784
ins Banat gekommen waren, aber weil ihre
Häuser in der neuen Siedlung noch nicht
fertig waren, mußten sie in den
benachbarten Ortschaften überwintern.
Nach Kraushaar standen 1787 im
neuangelegten Schwabendorf, das nach dem
Präsidenten der Temeschburger
Kammeraladministration Baron Orczy
benannt wurde, schon 200 Häuser. Nach
dem Anschluß des Banats an Rumänien hieß
das Dorf Cocota (lies: Kokota), kurz
danach legt man sich auf Ortisoara fest.
Im Jahre 1792 hatte Orzydorf 979
Einwohner und 100 Jahre später, als die
Gemeinde zum Wingaer Distrikt gehörte,
betrug ihre Zahl sogar 2.889 Seelen.
1910 stellten die 1.967 Deutschen einen
Bevölkerungsanteil von 91 Prozent. 1918
bestand die Ortschaft aus 618
Hausplätzen. Im November 1940 konnten
hier noch 1.942 deutsche Volkszugehörige
gezählt werden. Nach dem Krieg sank die
Zahl der Deutschen sowohl durch
Kriegsverluste, als auch durch
Abwanderungen. Zugleich stieg die Zahl
der Rumänen ab 1945 ständig. 1977 gab es
unter den 2.647 Dorfbewohnern nur noch
849 Deutsche. Den Rest bildeten 1.605
Rumänen, 157 Ungarn und 36 Sonstige. Im
Juli 1990 lebten in Orzydorf noch 187
Deutsche, aber im Januar 1992 bekannten
sich von den 2.283 Einwohnern des
einstigen Schwabendorfs nur noch 114
Personen zum Deutschtum. Die Zahl der
Rumänen stieg aber auf 1.997 Seelen, die
der Sonstigen auf 69; auch die Zahl der
Ungarn sank um 35 Prozent auf 105
Personen. Nach dem Sturz Ceausescus im
Dezember 1989 hoffte man hierzulande,
die deutsche Restbevölkerung aus
Rumänien in ihrer Heimat „stabilisieren"
zu können, was aber selbstverständlich
nicht gelungen ist. So sank dann auch
die Zahl der Banater Schwaben in
Orzydorf bis Dezember 1994 auf 55 und
bis Februar 1996 sogar auf 39 Seelen.
Im zur Gemeinde gehörenden Dorf Setschan
(amtlich: Seceani) wurden im November
1940 30 Personen deutscher
Volkszugehörigkeit registriert. Bei der
Volkszählung vom Januar 1992 konnte man
hier nur noch zwei Deutsche zählen: das
Ehepaar Menharth. Im Monat Oktober 1994
feierten die damals 66-jährige Barbara
und der 75-jährige Andreas Menharth ihre
„goldene Hochzeit". Dies war damals die
einzige deutsche Familie, die mit ihrem
Enkel Manfred im rumänischen Seceani
lebte. Sie sollten aber nicht lange hier
die einzigen Deutschen bleiben, denn
schon Anfang 1995 kamen die damals
60-jährige Margit Müller mit ihrer
Tochter Anna Simulescu und deren Familie
hinzu. Margit Müller, eine gebürtige
Setschanerin, wanderte 1990 nach
Deutschland aus. Von dort half sie der
in Orzydorf lebenden Tochter und dem
Schwiegersohn Florin Simulescu, in
Setschan einen Schlachthof zu errichten.
Danach kehrte sie von Deutschland nach
Setschan zu ihren Kindern und
Enkelkindern zurück. Sie meinte: „Es ist
schön in Deutschland, aber zu Hause, bei
meinen Lieben, ist es am schönsten!".
Aber auch im zur Gemeinde Orzydorf
gehörende rumänische Dorf Cornesti
bekannte sich eine Person von den 537
Dorfbewohnern zum Deutschtum.
Über Orzydorf berichtete in den letzten
Jahren die banater Presse reichlich. Die
„Allgemeine Deutsche Zeitung für
Rumänien" (ADZ) schilderte besonders in
ihrer Beilage „Banater Zeitung" die
deutsche Vergangenheit und das, was von
ihr bis heute übrig geblieben ist. Die
Reportagen aus den Zeitungen „Timisoara"
und „Renasterea banateana" (Banater
Wiedergeburt) beziehen sich
ausschließlich auf das heutige Leben in
dieser banat-schwäbischen Ortschaft, in
der es fast keine Banater Schwaben mehr
gibt. Die „Renasterea banateana"
veröffentlichte nur im Jahre 1997 16
Reportagen in 13 Ausgaben.
Laut ADZ vom 3. März 1995 soll Orzydorf
damals noch überwiegend von der
schwäbischen Vergangenheit geprägt
gewesen sein. Im Ortszentrum, inmitten
des ziemlich vernachlässigten Parks,
stand die katholische Kirche mit den
drei Denkmälern: dem
Dreifaltigkeitsdenkmal, der Herz-Jesu-Statue
und dem Heldendenkmal. Auch das
Pfarrhaus stand da, neben dem
Gemeindehaus, und gegenüber der Kirche
befand sich das bekannte Gebäude der
Grundschule. Auf der anderen Seite der
Landstraße befand sich die
Landwirtschaftsschule, der
Handelskomplex der Konsumgenossenschaft,
die Remise der freiwilligen Feuerwehr
und sieben „sozialistische" Wohnblocks.
In der Ortsmitte stand auch das neue
Kulturheim, das Postamt, eine Gaststätte
und die Polizeistelle. Die breiten und
geraden Dorfstraßen waren noch immer von
den charakteristischen Giebelhäusern
gesäumt, aber an einigen Stellen mußten
diese schon den im modernen Stil
gebauten Häusern weichen. In der
Reportage bedauerte der damalige
Bürgermeister Ioan Urban (gewählt auf
der Liste der Demokratischen Partei -
eine Abspaltung der gewesenen Front der
Nationalen Rettung) die Tatsache, daß in
Orzydorf damals nur noch 48 Deutsche
lebten. Unter anderem erklärte er: „Die
Deutschen haben Orzydorf 1785 gegründet
und es zu Wohlstand und Ansehen gebracht.
Wir haben alle Hochachtung vor ihrer
Leistung und wollen uns bemühen, die
Tradition der guten Bewirtschaftung
fortzusetzen". Er hob aber hervor, daß
es auch jetzt im Dorf „viele tüchtige
und fleißige Landwirte" gäbe. Dafür
beklagte er aber, daß es ziemlich schwer
wäre, die aus anderen Landesteilen
zugewanderte Bevölkerung in die
Dorfgemeinschaft zu integrieren. Diese
Leute wollten nicht einmal die Häuser
pflegen, in denen sie wohnten.
Dieselben Worte des Lobes für die
ausgewanderten Deutschen äußerte ein
Jahr später auch Viorel Puscas, der am
16. Juni 1996 mit 745 Stimmen als
Kandidat der Sozialdemokratischen Union
zum Bürgermeister gewählt wurde (ADZ vom
29.06.1996). Laut seiner Aussage lebten
damals in Orzydorf 39, in Kalatscha 9
und in Setschan 2 Deutsche.
Am 8. März 1995 nahm die ADZ Orzydorfs
Denkmäler unter die Lupe. Einzig und
allein die 1884 von den Familien Klemens,
Leichnam und Weisz gestiftete Herz-Jesu-Statue
war damals gut erhalten gewesen. Das
1922 (nach Grete Eipert 1927) von der „Schwäbischen
Volksgemeinschaft" errichtete
Heldendenkmal befand sich damals auch in
gutem Zustand, aber die Eisenkette, die
das Denkmal einsäumte, ist mutwillig
abgerissen worden. In einem ganz
schlechten Zustand befand sich damals
das von den Eheleuten Johann und
Katharina Krepil gestiftete
Dreifaltigkeitsdenkmal. Es ist 1905 vom
Neu-Arader Bildhauer und Steinmetz Josef
Jung angefertigt worden. Am Denkmal
waren 1995 deutliche
Verfallserscheinungen vorhanden: von den
Standfiguren waren mehrere Stücke
abgebrochen und der Verputz bröckelte
unaufhaltsam. Der Bürgermeister wollte
das Denkmal erhalten, aber es fehlte ihm
das nötige Geld dafür. Eine Restauration
ist dringend nötig geworden.
Nur eine Woche später berichtete die ADZ
einiges über die Freiwillige Feuerwehr.
Laut Urkunden soll der deutsche Verein
1930 ins Leben gerufen worden sein. 1988
ist die neue und moderne Feuerwehrremise
errichtet worden. Die Ausstattung war
auch dem damaligen Stand angepaßt:
Schutzhelme und -anzüge, Löschgeräte und
ein modernes Feuerlöschauto. Im oberen
Stockwerk der Remise ist ein kleines
Museum, ein Klub und ein
Versammlungssaal eingerichtet worden.
1995 bestand die Mannschaft der
Orzydorfer Feuerwehr aus 9 Männern.
Am 5. April 1995 schilderte die ADZ
ausführlich die aktuelle Lage, in der
sich die 1867 erbaute katholische Kirche
befand. Dank der 1971 durchgeführten
Renovierung des Kircheninneren sah diese
damals guterhalten und gepflegt aus.
Dafür sorgte aber auch der damals
36-jährige Mesner Ewald Duckadam. Seit
Pfarrer Otto Pál Szabó im Juni 1994
verstorben ist, war der Mesner der
einzige, der sich täglich um die Kirche
kümmerte. 1995 gab es im gewesenen
Schwabendorf keinen Seelsorger, und
deswegen wurden die Gottesdienste
zweimal im Monat vom Mailater Pfarrer
Matthias Kalapis zelebriert, die
Beerdigungen wurden meist vom Wingaer
Pfarrer Nikolaus Nacov durchgeführt. Vor
drei Jahren hoffte man, daß die
Orzydorfer Pfarrei von einem
griechisch-katholischen Pfarrer
übernommen werde. Aus den Zeitungen
konnte man zu diesem Thema nichts
weiteres erfahren. Zur Orzydorfer
Pfarrei gehörten 1995 außer den etwa 150
Katholiken aus Orzydorf (48 Deutsche, 70
Ungarn und 30 Rumänen) auch jene aus
Mercydorf (45 Deutsche und 25 Ungarn),
Kalatscha (12 Deutsche und 48 Ungarn),
Hodon (11 Deutsche, 4 Ungarn und 7
Rumänen) und Knees mit insgesamt 60
Katholiken. Die wenigsten der 150
Orzydorfer Katholiken besuchten die
sonntäglichen Gottesdienste. Von den 250
Sitzplätzen waren gewöhnlich nur 20 bis
35 auch besetzt, nur an Ostern und
Weihnachten gab es mehr Kirchenbesucher.
Wie in vielen anderen Kirchen des Banats
wurde im November 1993 auch in dieser
Kirche eingebrochen. Man war aber schon
darauf vorbereitet, und darum bestand
die Beute der Einbrecher nur aus zwei
Kerzenständern und 500 Lei aus der
Spendenbüchse.
Über das alltägliche Leben in Orzydorf
erfährt man reichlich aus den
rumänischen Zeitungen. Schon am 5. März
1994 kritisierte die rumänische Zeitung
„Timisoara" die Gesetzlosigkeit, die
seit der Auswanderung in Orzydorf
herrschte. Auch hier, wie in vielen
anderen Dörfern der Banater Heide,
betrachten die aus anderen Landesteilen
zugezogenen Schäfer die angebauten
Ackerfelder als eine für alle
zugängliche Weide. So kam es dazu, daß
40 Hektar angebaute Ackerfelder der
Landwirtschaftlichen Gesellschaft „Recolta"
(Die Ernte) von den Schafen „abgeweidet"
wurden, 10 Hektar davon sogar bis zum
letzten Halm. Der so entstandene Schaden
betrug nach dem damaligen Stand über
eine halbe Million Lei. Bemerkenswert
ist aber die Tatsache, daß keine der
zuständigen Behörden bereit waren, etwas
dagegen zu unternehmen. Als die Bauern
sich selbst zur Wehr setzten und auf
ihren Feldern
Schädlingsbekämpfungsmittel aussetzten (eigentlich
eher gegen sie Schafe und nicht gegen
die Ratten), erhielten sie sofort vom
Landwirtschaftsamt aus Orzydorf eine
strenge Mahnung. Die auf den
Ackerflächen weidenden Schafen gehörten
aber nicht nur den ortsfremden Schäfern,
sondern auch dem Orzydorfer Viorel
Sofron, Lehrer an der hiesigen
Landwirtschaftsschule. Dieser äußerte
sogar Drohungen gegenüber den von ihm
beschädigten Landwirte, weil sich diese
über seine Tat beschwerten. Dazu traute
er sich nur deswegen, weil sich in
seiner Herde auch Schafe befanden, die
der Dorfobrigkeit gehörte.
Ein Jahr später, 1995, berichtete die
ADZ zum letzten Mal über einige positive
Aspekte aus dem Dorfleben. So lobte man
das gute Funktionieren des in den '70-er
Jahren errichteten Wasserleitungsnetzes,
das damals eine Länge von 31,5 km hatte,
und an dem 1.127 Wohnhäuser
angeschlossen waren. Schlecht sah es
damals nur mit der Abwasserkanalisierung
und mit dem Straßenbau aus. Die
Kanalisierung hatte nur eine Länge von
einem Kilometer, und angeschlossen waren
nur 55 Häuser. Von der Gesamtlänge der
Ortsstraßen Orzydorfs, die damals 43 km
betrug, waren nur 4,2 km asphaltiert.
Dafür war man aber mit dem Viehbestand
der Gemeinde sehr zufrieden. Dieser
bestand aus 1.290 Rindern, 8.000 Schafen,
1.700 Schweinen, 9.000 Stück Geflügel,
100 Hasen und 380 Bienenvölkern.
Zufrieden soll man hier auch mit der
Bodenverteilung gewesen sein. Selbst die
später Zugewanderten sollen ein bis drei
Hektar Boden erhalten haben. Nach dem
damaligen Bürgermeister soll es hier
auch genügend Arbeitsplätze gegeben
haben. Diese gab es damals bei den
staatlichen Farmen für Rinder-, Geflügel-
und Schweinezucht, als auch bei der
staatlichen Getreideübernahmestelle. Da
auf dem Areal der Gemeinde auch
Erdölvorkommen entdeckt wurden, war ein
Teil der Bevölkerung in der
Erdölförderung beschäftigt. Zur gleichen
Zeit gab es im Ort 79 Firmen mit
Privatkapital, doch waren diese nur auf
den Handel orientiert. Unzufrieden war
der Bürgermeister nur mit dem knappen
Gemeindebudget und mit den „Neubürgern",
die sich der banater Zivilisation nicht
anpassen wollten.
Einen schweren Schlag erlitten die
Menschen, aber auch das Wirtschaftsleben
im Juni 1996, als über die gesamte
Gegend ein schweres Unwetter niederging.
90 Prozent der gesamten Ernte war in nur
10 Minuten völlig vernichtet. Der
Gesamtschaden belief sich nach dem
damaligen Stand auf 10 Milliarden Lei.
Damit hatte der vor einigen Tagen zuvor
gewählte Bürgermeister Viorel Puscas
einen schweren Amtsantritt. Trotzdem
nahm er sich für die nächsten Jahren vor,
die Kommunalstraßen zu den Dörfern der
Gemeinde instandzusetzen, das
Trinkwassernetz zu erweitern und alle
Ortschaften der Gemeinde an das
Erdgasnetz anzuschließen. Doch nach
nicht einmal 10 Monaten bezweifelte das
Gemeindeoberhaupt in der Zeitung „Renasterea
banateana" die Durchführung seiner
vorherigen Pläne. Die ständig leere
Gemeindekasse überzeugte ihn, daß alle
Versprechungen, die in der Wahlkampagne
gemacht wurden, nur Lügen waren.
Um aber doch etwas aus seinen Plänen zu
verwirklichen, hatte er beschlossen,
einige Baumaschinen und den Traktor des
Bürgermeisteramtes tageweise zu
vermieten. Auch die Versprechungen, die
man den vom Unwetter geschädigten
Menschen machte, wurden nicht
eingehalten. Die Regierung versprach
ihnen finanzielle Hilfe, aber die Gelder
kamen nicht einmal bis Ende des Jahres
1996 in Orzydorf an. Der Bürgermeister
betonte, daß von einer vollen
Entschädigung gar keine Rede war, man
wollte den in Not geratenen Bürgern mit
etwa 30 bis 40 Prozent des
Gesamtschadens helfen. Erst im Juni 1997
berichtete die Zeitung „Renasterea
banateana", daß man allen Beschädigten,
„die rechtzeitig eine komplette
Dokumentation über ihren erlittenen
Schaden einreichten", etwa 200.000 bis
210.000 Lei pro Hektar ausgezahlt hatte.
Diejenigen, die das nicht oder nicht
richtig getan haben, gingen leer aus.
Es scheint aber, als hätte sich auch die
Natur gegen die in großer Not lebenden
Menschen gewendet. Sowohl im Juli 1997
als auch im Juli 1998 wurde das Banat
wieder von heftigen Stürmen heimgesucht.
Besonders betroffen waren wieder die
Kreise Temesch und Arad. 1997 wurde die
Ernte im Kreis Temesch wieder auf 26.000
Hektar Ackerboden vernichtet. In beiden
Jahren gehörte die Orzydorfer
Bevölkerung wieder zu den Leidtragenden.
Im August 1997 meldete dieselbe Zeitung,
daß der Orzydorfer Staatsbetrieb „Agromec"
(= die gewesene Station für die
Mechanisierung der Landwirtschaft - SMA),
der einen Gesamtwert von 1,2 Milliarden
Lei hatte, privatisiert wurde. Über 50
Prozent des Verkaufswertes sollte der
Betrieb selbst bezahlen, damit der
Manager, also der bisherige Direktor das
Entscheidungsprivileg behalten kann. Es
konnten aber nur 112 Millionen als
Anzahlung in Bar geleistet werden. Der
Rest von 587 Millionen Lei sollte in
sechs Jahresraten nachgezahlt werden.
Diese Beträge stellten aber nur einen
Anteil von 40 Prozent dar, wodurch der
Manager nicht über das Machtwort
verfügen kann. 59 Prozent des
Gesamtwertes wurden auf 28.810 Aktien
verteilt, die in den Besitz von 785
Personen gingen. Gekauft wurden diese
aber mit vom Staat verteilten wertlosen
Coupons. Die Belegschaft des Betriebs
erhielt 10 Prozent der Aktien. Ein
Prozent des Betriebswertes blieb im
Besitz des Staatseigentumsfonds (FPS).
Den „Aktienbesitzern" hatte man
versprochen, daß jeder eine jährliche
Dividende in Höhe von 35.000 bis 40.000
Lei erhalten wird.
Ioan Radoi, der „neue" Manager schenkte
aber bald „klaren Wein" ein, indem er
mitteilte, daß schon von Beginn an die
Tilgung eines Kredits in Höhe von 200
Millionen Lei fällig ist. Der Kredit
wurde für eine „marktwirtschaftliche
Initiative" aufgenommen. Eigentlich
wurden mit dem Geld 400 Hektar
gepachteter Ackerboden mit Weizen
angebaut, um so den
Landwirtschaftsvereinen Konkurrenz zu
machen. Ein hoher Gewinn konnte aber
wegen des schon erwähnten Unwetters
nicht herausgekommen sein. Dazu gab es
auch noch Altlasten in Höhe von weiteren
200 Millionen Lei, weil der nun „privatisierte"
Staatsbetrieb seinerzeit seine Steuern
nicht bezahlte. Aber zugleich hatte auch
der „Servomec"-Betrieb seine Schuldner;
Landwirtschaftsvereine schuldeten ihm
über 300 Millionen Lei aus nicht
bezahlten Dienstleistungen. Sie waren
aber wegen der vom Unwetter verursachten
Schäden nicht zahlungsfähig. Trotz
dieser schwierigen Lage schmiedete der
Manager neue „marktwirtschaftliche Pläne".
Er wollte die alten verrotteten
Landwirtschaftsmaschinen mit neuen aus
dem Ausland ersetzen. Ein solcher
Traktor, der zehn einheimische Modelle
ersetzen sollte, kostete aber 300.000
DM, die Radoi keiner leihen wollte.
Deswegen überlegte er den weiteren
Verkauf eines Teils des nun
privatisierten Betriebs: die Abteilungen
aus Sankt-Andres, Kowatschi, Cornesti
und sogar eine (von den beiden) aus
Orzydorf.
Nur einen Tag nach der Veröffentlichung
dieser Reportage, berichtete dieselbe
Zeitung über die endgültige Schließung
der hiesigen Geflügelfarm „Avicola". Von
den 52 Beschäftigten blieb nur noch
einer befristet im Dienst. Es war der
Veterinärtechniker Ioan Forga, der nach
33 Dienstjahren der älteste Mitarbeiter
war. Laut seiner Äußerung dem
Journalisten gegenüber, sollen hier
jährlich 65 Millionen Eier produziert
worden sein, aber 1996 erzeugte man nur
noch drei Millionen. Wegen mangelnden
und schlechten Futters legten die Hühner
immer weniger Eier. Den Todesstich
erhielt die Farm schließlich von den
Elektrizitätswerken. Diese stellte die
Stromlieferung ein, weil die Farm
Stromrechnungen in Höhe von vier
Milliarden Lei nicht bezahlen konnte.
In Orzydorf geht es aber nicht nur mit
den Wirtschaftseinheiten abwärts, die
Lage der privaten Landwirte
verschlechtert sich auch fast täglich.
Die 73-jährige Bäuerin Liuba Dupceac
beklagt besonders die niedrigen Preise,
für die sie ihre Milch dem Staat abgeben
muß. Mit dem Geld, das sie für die
täglich gelieferten 12 bis 15 Liter
Milch bekommt, kann sie, aber auch viele
andere, nicht einmal das nötige Futter
für die Kühe kaufen. Viele haben
deswegen den Verkauf ihrer Milch an den
staatlichen Milchverarbeitungsbetrieb
eingestellt und verwenden sie lieber als
Futter für ihre Ferkel, oder sie halten
ganz einfach kein Vieh mehr.
In Orzydorf gibt es aber nicht nur in
der Landwirtschaft Schwierigkeiten. Vor
einiger Zeit stellte man fest, daß es
auch beim hiesigen Postamt „schwarze
Schafe" gibt. Laut einer in der „Renasterea
banateana" veröffentlichten Reportage
beklagt man sich im Ort nicht nur wegen
der späten Zustellung der Postsendungen.
Es wurden sogar zwei Postbeamtinnen
wegen Diebstahls und Urkundenfälschung
unter Anklage gestellt. Sie öffneten vor
allem Auslandsbriefe und entnahmen
Wertsachen. Durch die Fälschung von
Unterschriften entwendeten sie
Rentenanweisungen in Millionenhöhe. Nach
ihrer Entlassung aus dem Postdienst
kamen sie vor den Richter.
Aus der oben genannten rumänischen
Zeitung ist zu erfahren, daß hier auch
das Gesundheitswesen nicht so richtig
funktioniert. Zwar verfügt die Gemeinde
über ein ganz gut ausgestattetes
Ambulatorium, dafür fehlt aber das
nötige Fachpersonal. Die zwei
Allgemeinmediziner müssen täglich je
etwa 25 Personen untersuchen, einmal in
der Woche in den drei zur Gemeinde
gehörenden Dörfern die Sprechstunden
abhalten und dazu auch noch den
fehlenden Kinderarzt ersetzen. Der
fehlende Zahnarzt kann aber von
niemandem ersetzt werden, ebensowenig
wie die zwei fehlenden Krankenschwestern
in zwei Dörfern. Da wegen der leeren
Kassen jetzt auch der nächtliche
Notdienst eingestellt wurde, muß der im
Ort wohnende Arzt, Dr. Adrian Ciolofan
in allen Notfällen aus vier Ortschaften
allein eingreifen.
In Orzydorf ist man wegen der täglichen
Sorgen auch immer weniger an einer
kulturellen Tätigkeit interessiert. Die
Gemeindebibliothek hatte im Frühjahr
1997 nur 2.924 Bücher in den Regalen
stehen. 1996 hatte man wegen des
chronischen Geldmangels nur 103 Bücher
anschaffen können. Da ist es auch nicht
zum staunen, daß die Gemeindebücherei
fast ausschließlich von Schülern besucht
ist. An Ausstattung mangelt es aber
nicht nur der Bibliothek, sondern auch
dem Kindergarten. Hier fehlen in erster
Reihe Spielsachen, aber auch Malhefte
und Plastilin sind hier Mangelware.
Ganz schlimm steht es hier um den
Landwirtschaftsschulkomplex. 1997
verließen die letzten 21 Absolventen das
Landwirtschaftslyzeum, das danach
aufgelöst wurde. In den heutigen rauhen
Zeiten werden Landwirtschaftsmechaniker
nicht mehr gesucht. 1996 konnten von den
19 jungen Berufsschulabsolventen nur 10
eine Einstellung in Kalatscha und in der
Nachbargemeinde Winga finden, zwei haben
die Aufnahmeprüfung für ein Arader
Lyzeum bestanden. Ein Jahr später, also
1997 konnte keiner der Absolventen einen
noch so schlechten Arbeitsplatz finden.
Wegen dieser Perspektivlosigkeit im
Berufsleben verließen im ersten Semester
1997 vier Schüler von 27 die Schulbänke
schon im ersten Ausbildungsjahr. Viele
Schüler hatten dies auch im zweiten
Ausbildungsjahr vor. Sie finden, daß bei
einer stagnierenden Wirtschaft die
Ausbildung keinen Sinn mehr hat. Wie im
ganzen Lande herrscht auch in Orzydorf
Ratlosigkeit und Resignation, weil die
seit Jahren von allen Regierungen
versprochene Privatisierung der
unrentablen Staatsbetriebe noch immer
nicht ernsthaft in Angriff genommen wird.
Im Herbst 1997 ist schließlich auch das
Bürgermeisteramt ohne ein Dach über den
Kopf geblieben. Das Haus mit der Nummer
208, in dem es bis dahin untergebracht
war, ist vom Gericht seinem Erbe
zugesprochen worden. Dieser ist kein
anderer als der im Juni 1996 mehr
ernannte als gewählte
Parlamentsabgeordnete der deutschen
Minderheit in Rumänien, Werner Horst
Brück. Dieser hatte 1997 das
Demokratische Forum der Deutschen in
Rumänien und seine wenigen Wähler, um
die er sich kaum kümmerte, endgültig im
Stich gelassen, indem er sein Mandat
niedergelegt hat. Wahrscheinlich ist
eine Stelle an der Rumänischen Botschaft
aus Bonn viel verlockender gewesen.
Bürgermeister Viorel Puscas aber, war
wahrscheinlich der Meinung, wenn er
schon nicht in einem großzügigen
deutschen Haus residieren kann, soll er
dies wenigstens in einem gleichwertigen
Prachtbau tun, nämlich dem vor etwa 10
Jahren für das Landwirtschaftslyzem
gebauten Haus. Ob die Temescher
Kreispräfektur seinen Wunsch erfüllt
hat, war aus der Presse nicht mehr zu
erfahren.
November 1998
Anton Zollner
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